Berufsorientierter Sportunterricht - eine Chance zur Gesundheitserziehung
Falsche Bewegungen, täglich über viele Berufsjahre wiederholt, führen unweigerlich zu berufsbedingten Erkrankungen des Bewegungsapparates. Ein berufsorientierter Sportunterricht an Berufsschulen, der auf die Vermittlung von "Bewegungskompetenz" ausgerichtet ist, kann dem entgegenwirken.
Der Sportunterricht an Berufsschulen bietet die Möglichkeit, Sport und Bewegung aus allgemeinbildender und berufsbezogener Perspektive zu thematisieren sowie praktisch zu erschließen. Ziel des Sportunterrichtes ist es, einen Beitrag zu leisten, damit die Schüler ihr gegenwärtiges und künftiges Leben in Selbstverantwortung gestalten können. Voraussetzung dafür ist eine Entwicklung von sich wechselseitig durchdringenden und ergänzenden Kompetenzen, die in eine spezifische Handlungskompetenz münden. Dies bedeutet, dass sich die Schüler Fähigkeiten aneignen, um Bewegungstechniken, präventive Übungen, Bewegungsprogramme und Entspannungstechniken auszuwählen, zu erstellen und ihren individuellen Bedürfnissen entsprechend anzuwenden.
Diese verschieden ausgerichteten Bewegungsprogramme zielen zum einen darauf ab, kurzfristig motorische Defizite bei den Bewegungsanforderungen am Arbeitsplatz auszugleichen und zum anderen langfristig die im Berufsalltag notwendige Bewegungskompetenz zu entwickeln. Im Vordergrund hierbei steht, den Zusammenhang von Gesundheit und Bewegung zu erkennen und sich kritisch mit gesundheitsschädigenden Einflüssen auseinander zu setzen sowie gesundheitsbewusst zu verhalten. Dazu gehört, dass Schüler berufsbezogene Bewegungen und Körperhaltungen reflektieren können, Fehlbelastungen und Gefahren vor möglichen Schädigungen erkennen und Bewegungsausführungen beherrschen. So vermeiden sie Schädigungen bzw. Verletzungen.
Bei der Gestaltung der einzelnen Lernfelder des Sportunterrichts an Berufsschulen sollten die arbeitsbedingten Besonderheiten der jeweiligen Berufsgruppen beachtet werden. Im Ergebnis einer Analyse der heutigen Arbeitswelt kann man von typischen körperlichen Belastungs- bzw. Gefährdungsmerkmalen ausgehen. Sie sind die Grundlage für eine präventiv ausgerichtete Kenntnisaneignung sowie für die Entwicklung von Bewegungs- und Sportprogrammen. Dabei werden unterschieden:
- Tätigkeiten mit Heben und Tragen von Lasten
- Tätigkeiten im Sitzen
- Tätigkeiten im Stehen und Gehen
- Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen
Zu beachten ist, dass sich in der beruflichen Praxis die Tätigkeiten überlagern und Wechselwirkungen einschließen. Dagegen zeigen sich Belastungs- und Gefährdungsaspekte in vergleichbaren Berufen in unterschiedlichen Formen. Das betrifft z.B. die Belastungsintensität bzw. den Belastungsumfang, die Belastungsdichte bzw. Art der Belastung (statisch oder dynamisch), die einzelnen Bewegungsabläufe sowie die Handlungsbedingungen. Darüber hinaus wirken aber auch psychische und soziale Faktoren im beruflichen Umfeld sehr differenziert auf die individuelle Wahrnehmung von Belastungen.
Besonders komplex sind die beruflichen Anforderungen durch vielfältige und verschiedenartige Tätigkeiten im handwerklichen Bereich. Deshalb ist es notwenig für diese Beschäftigten eine individuelle Analyse beruflicher Belastungen in ihrer Bedeutung herauszuarbeiten. Die Schüler müssen befähigt werden, sachgestützte Entscheidungen zur Sicherung der eigenen körperlichen Leistungsfähigkeit zu treffen.
Tätigkeiten mit Heben und Tragen von Lasten
Sie sind gekennzeichnet durch das Heben und Tragen von Lasten, verbunden mit dem Vorneigen und Verdrehen des Oberkörpers, sowie häufiger Wiederholungen von Beuge- und Streckbewegungen der Arme und Beine. Zusätzliche Belastungen entstehen durch Zwangshaltungen wie Bücken, Hocken und Knien. Dadurch kommt es zu hohen statischen und dynamischen Belastungen des gesamten Körpersystems, insbesondere der Wirbelsäule, des Schulter-Nacken-Bereiches, der Knie, Handgelenke und Unterarme. Typische Berufsgruppen: Maurer, Ausbaufacharbeiter, Tiefbaufacharbeiter, Versand- und Lagerarbeiter, Installateure, Gärtner, Tischler, Metallbauer, Beton- und Stahlbetonbauer, Zimmerer, Fleischer, Hotel- und Restaurantfachleute, Krankenpflegepersonal.
Tätigkeiten im Sitzen
Sie sind gekennzeichnet durch eine hohe, langandauernde statische Belastung des Oberkörpers bei stark eingeschränkter Aktivität der Beine sowie durch häufiges Vorneigen und Verdrehen des Rumpfes. Besonders beansprucht werden dabei die Wirbelsäule, der Schulter-Nacken-Bereich, die Knie und die Handgelenke/Unterarme. Dabei kommt es zur Unterbeanspruchung des Herz-Kreislaufsystems und oft auch zu einer eingeschränkten Atmung. Typische Berufsgruppen: Bürokaufmann/-frau, Bankkaufleute, Berufskraftfahrer, Textilfachberufe, Fachinformatiker, Elektromechaniker, Augenoptiker, Gerätezusammensetzer.
Tätigkeiten im Stehen und Gehen
Sie sind gekennzeichnet durch eine geringe bis mittlere Aktivität der Rumpf- und Beinmuskulatur aufgrund von langzeitigem Stehen mit unterschiedlichen Zusatzlasten, die häufig mit Verdrehen und Vorbeugen des Oberkörpers verbunden sind. Zusatzlasten entstehen durch Überkopfarbeit in Zusammenhang mit fixierten Armhaltungen. Dadurch kommt es zu hohen statischen Belastungen des Halteapparates im Bereich der Wirbelsäule, Schulter-Nacken-Bereich sowie der Knie- und Fußgelenke. Typische Berufsgruppen: Werkzeugmechaniker, Zerspanungsmechaniker, Köche, Bäcker, Friseure, Laboranten, zahnmedizinische Fachangestellte, Fotografen, Hotel- und Restaurantfachleute, Einzelhandelskaufleute, Maler.
Tätigkeiten mit besonderen koordinativen Anforderungen
Sie sind gekennzeichnet durch hohe statische und dynamische Belastungen des gesamten Körpersystems. Dabei handelt es sich um stehende und gehende Tätigkeiten mit eingeschränkter Bewegungsfreiheit und Standsicherheit (wie unebene, schmale oder höher gelegene Untergründe, enge, schlecht beleuchtete Arbeitsplätze, Leitern, Gerüste). Diese sind oft verbunden mit Heben, Halten und Tragen von Lasten sowie Vorneigen und Verdrehen des Oberkörpers. Zusätzliche Anforderungen entstehen durch Zwangshaltungen wie Bücken, Hocken und Überkopfarbeiten. Typische Berufsgruppen: Dachdecker, Hoch- und Tiefbauer, Restauratoren, Forstwirte, Elektroanlagenmonteure, Maurer, Glaser, Elektroinstallateure, Maler.
Ausgehend von diesem Kenntnisstand über die beruflichen Belastungen und Gefährdungen der einzelnen Berufsfelder sowie der berufspraktischen Erfahrung und des Erlebens von beruflicher Belastung der Schüler ist eine gezielte Gestaltung des Sportunterrichts an Berufsschulen möglich und notwendig. Bei der Planung und Gestaltung des Berufsschulsports sollten natürlich auch die Interessen und Bedürfnisse der Schüler im Bereich der Trend- und Freizeitsportarten berücksichtigt werden. Auch zusätzliche Sport- und Bewegungsangebote können zur Vermeidung von Bewegungsmangelerscheinungen im Rahmen von fächerübergreifender Bewegungserziehung und Gesundheitsförderung beitragen.
(aus "Sicherheitsforum" 1-2006)